Angesichts der zunehmenden Unsicherheit, Gewalt und des Hungers in Venezuela findet eine Mutter jenseits der Grenze in Kolumbien neue Hoffnung, nachdem sie eine schmerzhafte Entscheidung treffen musste.

„Die Situation in Venezuela ist so schrecklich“, sagt Cibel Ortiz. Sie ist von Millionen Menschen, die das Land verlassen haben, um im benachbarten Kolumbien Geld zu verdienen und Zugang zu Lebensmitteln zu haben. „Menschen verhungern. Die Leute essen aus dem Müll.“

Cibel, die Mutter von zwei Jungen, ließ ihren älteren Sohn bei Verwandten zurück. Sie und ihr Mann machten sich mit ihrem zwei Monate alten Sohn Matías auf den mühsamen Weg in die Stadt Cúcuta.

„Wir sind gegangen, weil wir Matías in Venezuela nicht versorgen konnten“, erinnert sich Cibel. „Wir liefen sieben Tage lang, um Kolumbien zu erreichen. Auf dem Weg hatten wir Regen, Sonne, alles.“

Das Leben der Familie Ortiz wurde daraufhin nicht viel besser. „Wir haben die erste Woche auf der Straße gelebt“, sagt Cibel. „Wir kamen hierher, um einen Job zu finden und das war nicht leicht.“ Cibel arbeitete 12 Stunden am Tag und verkaufte Snacks in Bussen, um genug Geld zum Essen zusammenzukratzen und etwas an ihren älteren Sohn nach Hause zu schicken.

Wir sind sieben Tage nach Kolumbien gelaufen.

„An guten Tagen habe ich 30.000 kolumbianische Pesos verdient“, erinnert sie sich. Das entspricht etwa acht Euro. „Und an den schlimmsten Tagen 5.000 Pesos.“ Oftmals konnte sie nicht genug verdienen, um Matías ausreichend zu ernähren.

Cibel hat die Hände gefaltet und schaut nach unten.
Cibel Ortiz in Cúcuta, Kolumbien, wo sie mit Bargeldzuweisungen, medizinischer Versorgung und weiterer Unterstützung von IRC ein neues Leben mit ihrer Familie begann.
Foto: Andres Brenner/IRC

Cibel wurde wieder schwanger und ihr Mann verließ die Familie. Sie konnte nicht nach Venezuela zurückkehren, da sich die Krise dort täglich verschärfte.

Dann erhielt Cibel von einem Freund den Rat, sich an International Rescue Committee zu wenden.

Im Jahr 2018 leitete IRC eine Sofortmaßnahme gegen die sich rasch verschlechternde Situation in Cúcuta ein. Dort kommt ein Großteil der 5.000 Venezuelaner*innen an, die täglich ihr Heimatland verlassen. IRC konzentriert sich auf den Schutz von Kindern und Jugendlichen, die Stärkung von Frauen, den Zugang zu medizinischer Versorgung und unterstützt mit Maßnahmen zur wirtschaftlichen Integration.

„Cibels Geschichte ist herzzerreißend, aber sie ist kein Einzelfall“, sagt Marianne Menjivar, die Landesdirektorin von IRC in Kolumbien. „Jeden Tag treffen unsere Teams auf Frauen, die vor extremen Herausforderungen stehen und darum kämpfen müssen, Essen auf dem Tisch zu haben.“

Seit IRC mir hilft, fühle ich mich nicht mehr allein. Ich wusste, dass es da draußen Menschen gibt, die auf mich aufpassen und mich unterstützen.

„Seit IRC mir hilft, fühle ich mich nicht mehr allein. Ich wusste, dass es da draußen Menschen gibt, die auf mich aufpassen und mich unterstützen.“

IRC stellte Cibel Bargeldzuwendungen zur Verfügung, mit denen sie Miete zahlen und sich und Matías ernähren konnte. Die Organisation half ihr, das erlebte Trauma zu verarbeiten und versorgte sie mit pränataler Betreuung, die sonst durch das kolumbianische Gesundheitssystem nicht zur Verfügung steht.

Ein kleiner junge hat Spielzeug in der Hand, hinter ihm sitzt seine Mutter.
„Wir sind gegangen, weil wir Matías nicht versorgen konnten“, erinnert sich Cibel, die Venezuela mit ihrem jüngeren Sohn verließ. „Wir konnten keine Milch, keine Windeln und kein Essen finden.“
Foto: Andres Brenner/IRC

„In Kolumbien können die Venezolaner*innen medizinische Notfallversorgung erhalten. Dies deckt die Geburt ab, beinhaltet aber keine anschließende pränatale Versorgung“, erklärt Menjivar. „Die Regierung hat einfach nicht genug Ressourcen, um das gesamte Spektrum der Bedürfnisse abzudecken kann. IRC arbeitet daran, genau diese Lücken zu schließen. Bis heute haben wir mehr als 2.000 Menschen medizinisch versorgt. Aber es besteht immer noch ein großer Bedarf.“

Eine kürzlich durchgeführte IRC-Analyse ergab, dass nur ein Drittel der befragten Venezolaner*innen versucht hatte, Zugang zu Gesundheitseinrichtungen in Kolumbien zu erhalten. Von den Betreuungssuchenden erhielten nur 14 Prozent Medikamente. Viele Venezuelaner*innen gehen davon aus, dass sie sich eine Behandlung nicht leisten können oder wissen gar nicht, wo sie sich behandeln lassen können.

Dei schwangere Cibel sitzt mit einer Krankenschwester auf einem Sofa.
Cibel bekommt im letzten Trimester ihrer Schwangerschaft Besuch von der IRC-Krankenschwester Diana. Viele Venezuelaner*innen gehen davon aus, dass sie sich keine medizinische Versorgung leisten können oder wissen gar nicht erst, wo sie diese finden.
Foto: Andres Brenner/IRC

Während ihres letzten Trimesters wurde Cibel von einer IRC-Krankenschwester unterstützt. Die beiden Frauen haben sich während Cibels Untersuchungen angefreundet. „Mein Baby wird wegen ihr Diana heißen“, sagt Cibel. „Sie hat mir so sehr mit all meinen Medikamenten und allem anderen geholfen. Sie ist wirklich eine Freundin geworden.“

Cibel hat ein gesundes Baby zur Welt gebracht. Der Mutter und Baby Diana geht es gut und sie werden von IRC nach der Geburt betreut. Auch die psychologische Betreuung von Cibel geht weiter.