• Mehr als 5.000 Festnahmen von Migrant*innen und Geflüchtete in nicht mal einer Woche

  • Extreme Gewaltanwendung bei Razzien und willkürliche Verhaftungen, mindestens ein Todesfall

  • Unter den Festgenommenen Hunderte von schutzbedürftigen Frauen und Kindern

  • Katastrophale Bedingungen in extrem überbelegten Haftanstalten

Nach Razzien und Verhaftungen im Westen Libyens berichten inhaftierte Migrant*innen über schwere Misshandlungen, Gewalt und fehlenden Zugang zur Grundversorgung in Haftanstalten, warnt International Rescue Committee (IRC).

In den letzten Tagen wurden mehr als 5.000 Migrant*innen in libysche Haftzentren gebracht, im Rahmen einer Aktion, die von den libyschen Behörden als Kampagne gegen irreguläre Migration und Drogenhandel bezeichnet wird. Es gab mehrere Berichte über schwere Gewaltanwendung und willkürliche Verhaftungen, die mindestens einen Todesfall, viele Verletzte und die Zerstörung mehrerer Häuser zur Folge hatten. Unter den Festgenommenen befinden sich Hunderte schutzbedürftige Frauen und Kinder.

Dabei übersteigt die Zahl der Inhaftierten die offizielle Kapazität der Haftanstalten bei weitem. In Libyens größter Haftanstalt, Al Mabani, werden derzeit mehr als 4.000 Menschen festgehalten – das Vierfache der vorgesehenen Zahl. In der Haftanstalt Shara Zawaya, die nur für Frauen und Kinder vorgesehen ist, ist die Zahl der Insass*innen von Anfang September bis heute von 71 auf mehr als 520 Personen gestiegen. Darunter befinden sich mehr als 175 Kinder, davon 47 Säuglinge.

IRC-Mitarbeitende, die seither einige der Haftanstalten besucht haben, berichten von katastrophalen Bedingungen aufgrund extremer Überbelegung und mangelnder Grundversorgung, wie fehlendem Zugang zu sauberem Wasser, sanitären Einrichtungen und Nahrungsmitteln. In einem der Lager sind derzeit Hunderte von Gefangenen in einem offenen Hof ohne schützendes Dach eingesperrt. Gefangene berichteten, dass sie seit ihrer Verhaftung vor fast einer Woche nur eine Mahlzeit pro Tag erhalten haben und gezwungen sind, auf dem Boden zu schlafen.

Tom Garofalo, IRC-Landesdirektor Libyen:
„Wir sind extrem besorgt über die kritischen und menschenunwürdigen Zustände, denen Migranten und Migrantinnen in den gefährlich überfüllten Haftanstalten ausgesetzt sind. Unsere Teams berichten von Menschen, die gezwungen sind auf dem Boden zu schlafen, den sie auch als Toilette nutzen, da sie keinen Zugang zu den Latrinen außerhalb ihrer Zellen haben. Wir befürchten, dass sich Infektionskrankheiten aufgrund der beengten und unhygienischen Bedingungen ausbreiten. Unsere Teams haben bei den kürzlich Inhaftierten bereits Fälle von Tuberkulose festgestellt sowie Verdachtsfälle von COVID-19.“


Nicht nur die Tausenden von Menschen, die kürzlich inhaftiert wurden, benötigen dringend Hilfe, warnt IRC. Hunderte weitere Migrant*innen und Geflüchtete, die in der Region Tripolis leben, halten sich derzeit versteckt. Sie befürchten ebenfalls willkürlich verhaftet zu werden. Die Untergetauchten brauchen Unterstützung in Form von Lebensmitteln, Wasser und Medikamenten. Aufgrund der anhaltenden Razzien und Verhaftungen können humanitäre Organisationen sie jedoch nicht erreichen.

Ein IRC-Mitarbeiter, der mit einer untergetauchten Familie sprach, berichtet: „Die Menschen bleiben in ihren Häusern eingesperrt. Viele haben seit Tagen nichts mehr gegessen und sind vom Hungertod bedroht. Sie können das Gebiet nicht verlassen, da es von Polizeikräften umstellt ist. Sie wissen nicht, wie sie überleben sollen.“

IRC fordert die libyschen Behörden auf, geeignete Maßnahmen zu ergreifen, um Migrant*innen und Geflüchtete vor weiterer Gewalt und willkürlicher Inhaftierung zu schützen. Die anhaltenden Razzien werden wahrscheinlich die gefährdeten Menschen in die Arme von Schleppernetzwerken treiben, die so versuchen, einer möglichen Verhaftung und Inhaftierung zu entgehen. Die am stärksten gefährdeten Personen, insbesondere Frauen und Kinder, müssen unverzüglich freigelassen werden. Bis dahin muss humanitären Organisationen, die den inhaftierten Menschen lebensrettende Hilfe leisten, ein sicherer und ungehinderter Zugang gewährt werden.

Hinweis für die Redaktionen:
Die Aktivitäten von IRC in Haftanstalten stellen keine Billigung der libyschen Haftpolitik dar. In Anbetracht des dringenden humanitären Bedarfs in den Haftanstalten leistet IRC lebensrettende medizinische Hilfe und stellt für Inhaftierte, die sonst nur minimalen Zugang zu Versorgung haben, eine Grundversorgung an Hygienesets und anderen essenziellen Hilfsgütern bereit.
IRC fordert, alle Haftanstalten zu schließen, alle dort inhaftierten Personen freizulassen, angemessene humanitäre Hilfe bereitzustellen sowie die Inhaftierten nach ihrer Freilassung zu schützen, einschließlich einer freiwilligen Rückführung oder Umsiedlung, um Libyen zu verlassen.