Vor etwa einer Woche wurden mehr als 170 Menschen getötet, über 5.000 verletzt und mindestens 300.000 aus ihren Häusern vertrieben. Unsere Mütter und Väter, Ehefrauen und -männner, Kinder, Freunde und Freundinnen sind unter ihnen.

Es war eine Explosion, die uns mitten ins Herz getroffen hat. Als es passierte, dachte ich: „Das war’s. Das ist das Ende.“

Ich stand an der Straße vor dem IRC-Landesbüro und habe auf ein Taxi gewartet. Als ich eine Sprachnachricht für einen Freund aufgenommen habe, hörte ich die Explosion –  ein gespenstisch klingender Laut. 

Ein Auto in den Straßen von Beirut ist zerstört und unter Schutt begraben.

In wenigen Sekunden verwandelte sich meine Umgebung in ein Kriegsgebiet. Überall flogen Glassplitter, Autos fuhren ineinander. Ich hörte laute Rufe und Schreie.

Alle Versuche, meine Schwester anzurufen, waren vergebens. Ich konnte niemanden erreichen. Verzweifelt rannte ich auf die Straße. Ich dachte, hier bin ich vor herunterfallenden Trümmern am sichersten.

Nachdem der Knall der Explosion verklungen war, versuchte ich nach Hause zu kommen. Ich lief über eineinhalb Kilometer, um einen Bus zu finden. Unzählige Menschen standen auf den Bürgersteigen - weinend und schreiend. Viele der Gebäude waren zerstört.

Zerstörte Gebäude nach der Explosion in Beirut.

Nachdem das Telefonnetz wieder funktionierte, erreichte ich meine Schwester, Familie, Freunde und Freundinnen. Sie waren alle unverletzt und in Sicherheit.

Doch in der Nacht machte ich kein Auge zu. Ich konnte nur daran denken, wie viele Menschen unter den Trümmern liegen mussten. „Was ist, wenn sie noch lebten? Was muss ich tun? Gibt es einen Plan?“ So viele Fragen.

Ich wünschte, ich hätte die richtigen Worte, um die Lage zu beschreiben. Hunderte von Gebäuden waren komplett zerstört: Restaurants, Bars, Clubs – alle Geschäfte in der Umgebung – dem Erdboden gleichgemacht. Weiterhin wurden Verletzte aus den eingefallenen Häusern evakuiert. Überall waren Blutspuren und Glassplitter. Kaputtes Kinderspielzeug lag auf der Straße.

Viele Menschen vor der Notaufnahme in Beirut

Ich dachte daran, wie viele Menschen verletzt waren, wie viele vermisst.

Eine Woche später fühlt man noch immer die große Last, die auf der Stadt liegt. Die Explosion hat Spuren hinterlassen- auch in den Gesichtern ihrer Bewohner*innen. Aber was man in ihnen auch lesen kann, ist Hoffnung.

Hunderte Menschen – aus Libanon und Syrien, Palästina und anderen Regionen dieser Welt - arbeiteten zusammen, um nach dieser Katastrophe zu helfen. Freiwillige unterschiedlichster Herkunft und Identität, Sprache und Religion, Geschlecht und Nationalität versammelten sich, um diejeniegen zu unterstützen, die alles verloren haben.

Sie dachten nicht an das, was uns unterscheidet, sondern an das, was uns verbindet: unsere Menschlichkeit.

Ein Team Freiwilliger auf den Straßen von Beirut.

Ich war Teil einer Gruppe dieser Freiwilligen und wurde beauftragt, ein Team zu leiten, zusammengesetzt aus sechs Menschen,die ich noch nie zuvor gesehen hatte. Wir begannen, Gebäude in Mar Mkhayel und Bouri Hammoud von Trümmern zu befreien, denn beide Stadtteile wurden stark zerstört. Und wir meldeten, was die Menschen in diesen Gebieten brauchten: Nahrungsmittel, eine Unterkunft und medizinische Hilfe.

Neben den zerstörten Häusern trafen wir die Bewohner*innen. Sie waren traumatisiert, hatten Angst, dass ihr Hab und Gut geplündert werden könnte, wenn sie nicht daneben aufpassten. „Ich fühle mich, als wäre ich eine Geisel in meinem eigenen Haus,“ erzählte mir eine ältere Frau.

Wo immer wir hinkamen, hörten wir grauenvolle Geschichten. Sobald die Menschen uns kommen sahen, erzählten sie von ihrem Schmerz. Manche weinten einfach nur und lehnten sich an unsere Schultern. Ein 40-jähriger Mann sagte: „Das haben wir nicht verdient.“

In einem der Häuser, die wir besuchten, bot uns ein älteres Ehepaar ein Glas kaltes Wasser an, obwohl ihr Kühlschrank zerstört worden ist. Ich war kurz davor, in Tränen auszubrechen: Dieses Ehepaar hatte alles verloren – ihr Zuhause, ihr Auto und wegen der Wirtschaftskrise auch ihr angespartes Geld – trotzdem bestanden sie darauf, uns zu bewirten.

Ich hoffe, dass wir etwas aus dieser verheerenden Katastrophe gelernt haben: Auch wenn wir alle unterschiedlich sind, können wir uns gegenseitig unterstützen. Ich hoffe, wir haben gelernt, Diskriminierung und die abwertende Haltung anderen Menschen gegenüber endlich hinter uns zu lassen und stattdessen von nun an zusammenzuhalten. Das ist der einzige Hoffnungsschimmer, den wir haben.

Fotos: Elias El Beam/IRC

Mehr Informationen

Helfen sie Familien in Beirut mit ihrer Spende.

International Rescue Committee hat sofort mit der Umsetzung von Nothilfemaßnahmen begonnen und unterstützt die von der Explosion betroffenen Menschen unter anderem mit Bargeldleistungen, damit diese ihr Überleben sichern und einen Neuanfang starten können.