Die Lage in Jemen, wo sich derzeit die schlimmste humanitäre Krise weltweit ereignet, könnte weiter eskalieren und sich zu einem Alptraumszenario entwickeln, warnt die Hilfsorganisation International Rescue Committee (IRC). Gewalt und Luftangriffe haben einen neuen Höhepunkt erreicht. Im Mai trafen mehr als die Hälfte der Bombenangriffe, bei denen das Ziel identifiziert werden konnte, Zivilist*innen oder zivile Infrastruktur. Humanitäre Hilfsprogramme mussten aufgrund fehlender Mittel eingestellt werden, während die COVID-19-Pandemie eine bereits extrem gefährdete Bevölkerung noch weiter bedroht. 

Dazu Tamuna Sabadze, Jemen-Landesdirektorin bei International Rescue Committee (IRC): 

„Was wir in Jemen sehen, ist schlimmer als jede andere Tragödie, die wir zuvor erlebt haben. COVID-19 durchzieht das Land. Wir können nicht sagen, wie viele Menschen sich angesteckt haben. Das jemenitische Gesundheitssystem ist praktisch zusammengebrochen. Es gibt nur extrem begrenzte Testkapazitäten. Schätzungsweise eine Millionen Jemenit*innen können sich infizieren. Wir müssen mit bis zu 85.000 COVID-19-Toten rechnen. Gleichzeitig nehmen die Konflikte wieder zu, der Wert des jemenitischen Riyal sinkt, und andere Krankheiten wie Cholera und Dengue breiten sich wieder aus. All dies passiert in einer Zeit, in der Hilfsorganisationen gezwungen sind, lebensrettende Hilfe aufgrund von Finanzierungsengpässen auszusetzen.” 

Hilfsorganisationen seien entsetzt über den Mangel an verfügbaren Mitteln, die helfen, Leben zu retten, ergänzt Sabadze. Die jüngste Geberkonferenz für den Jemen blieb rund 1 Milliarde Dollar (etwa 892 Mio. Euro) hinter dem Ziel zurück.  

„Während sich COVID-19 ausbreitet, sind die Auswirkungen dieser Finanzierungslücke besonders spürbar: Etwa 10.000 Beschäftigte im Gesundheitswesen erhalten keinen Lohn mehr. Bis zu 80 Prozent der Krankenhäuser, die reproduktive Gesundheitsdienste für schwangere Frauen anbieten, mussten ihre Versorgungsleistungen reduzieren. Dadurch sind mehr als zwei Millionen Frauen und Mädchen im gebärfähigen Alter stark gefährdet. Die Vereinten Nationen sahen sich gezwungen, 75 Prozent ihrer Programme einzustellen oder zu beschränken. Dadurch werden mehr als acht Millionen Menschen, darunter drei Millionen Kinder, bis Ende Juni keinen Zugang zu Wasser und sanitären Einrichtungen mehr haben. In einem Land, das ohnehin schon von Hunger geplagt ist, werden im Juli und August zweieinhalb Millionen unterernährte Kinder keine Essensrationen mehr erhalten. Die Menschen in Jemen brauchen unsere Hilfe jetzt mehr denn je. Doch die Welt kehrt ihnen den Rücken zu.” 

Um das Leiden der jemenitischen Zivilbevölkerung zu verringern, fordert IRC die 

IRC ist seit 2012 in Jemen tätig – unter anderem auch mit Unterstützung deutscher Geber. So fördert das Auswärtige Amt Projekte im Bereich Gesundheitsfürsorge sowie Schutz und Stärkung von Frauen und Kindern. IRC versorgt zurzeit unter anderem eine COVID-19-Isolationseinheit und andere Gesundheitseinrichtungen mit Schutzausrüstung und angemessenen Wasser- und Sanitärdiensten und engagiert sich im Rahmen der COVID-19-Aufklärungsarbeit. Darüber hinaus stellen wir sicher, dass Kinder im Gesundheits- und Ernährungsbereich sowie schwangere und stillende Frauen im Bereich der reproduktiven Gesundheitsfürsorge weiterhin lebensrettende Versorgung erhalten. IRC leistet auch direkte Unterstützung durch Bargeldhilfe für besonders Schutzbedürftige und unterstützt Frauen und Mädchen, die Gewalt erfahren haben.