Die US-Regierung hat heute Ansar Allah als terroristische Organisation eingestuft (‚Foreign Terrorist Organization‘ und ‚Specially Designated Global Terrorist‘). In den von der Gruppe kontrollierten Gebieten leben 80 % der jemenitischen Bevölkerung. Ansar Allah kontrolliert auch die Hauptstadt Sana'a und den größten jemenitischen Hafen Hodeidah, über den 70% der kommerziellen und humanitären Importe des Landes abgewickelt werden. Durch die Einstufung der Gruppe als terroristische Organisation schaffen die USA komplexe und möglicherweise unüberwindbare rechtliche, bürokratische und operative Herausforderungen für humanitäre Akteure wie das International Rescue Committee in Jemen. Das Land ist mit der größten humanitären Krise der Welt konfrontiert. Wir befürchten, dass die Einstufung eine effektive und effiziente Bereitstellung humanitärer Hilfe nahezu unmöglich machen wird. 

Diese Einstufung ist ein rücksichtsloser, politischer Schachzug, der dem dringend notwendigen diplomatischen Prozess schadet. Sie wird noch größeres Leid für die jemenitische Bevölkerung auslösen und die Bereitstellung lebenswichtiger Unterstützung lähmen. 

Die Entscheidung kommt zu einer Zeit, in der sich Jemen in noch nie dagewesener Not befindet. IRC hatte Jemen bereits als die größte humanitäre Krise 2021 eingestuft. Die Bedingungen für die jemenitische Zivilbevölkerung verschlechtern sich in jeder Hinsicht weiter. Der Konflikt eskaliert, was zu hunderttausenden neuen Vertreibungszahlen und einem sprunghaften Anstieg der Bedürfnisse führt. Die COVID-19-Pandemie hat den wirtschaftlichen Zusammenbruch beschleunigt. Mehr als die Hälfte der Bevölkerung kann ihren Grundnahrungsmittelbedarf nicht decken. Die Zahl der von Hunger betroffenen Menschen wird nach UN-Schätzungen in diesem Jahr auf 47.000 Menschen ansteigen. 

Der UN-Plan für humanitäre Hilfe war mit nur 50% im Jahr 2020 stark unterfinanziert. Große Geber haben humanitäre Zusagen und Mittel zurückgehalten. Darunter die USA, die seit März 2020 die Finanzierung lebensrettender Hilfe in den von Ansar Allah kontrollierten Gebieten teilweise ausgesetzt haben. Infolgedessen ist die Zahl der Jemenit*innen, die jeden Monat mit humanitärer Nahrungsmittelhilfe erreicht werden, von 13 Millionen auf unter 9 Millionen gesunken. Die UN warnt vor der schlimmsten Hungersnot , die die Welt seit Jahrzehnten gesehen hat. 

Obwohl die von der Ansar Allah kontrollierten Gebiete im Norden des Jemen am stärksten betroffen sind, werden die Auswirkungen im ganzen Land zu spüren sein - nicht nur die Einfuhr von Lebensmitteln, Medikamenten und anderen humanitären Gütern, sondern auch von Handelsgütern wird verzögert oder sogar gestoppt. Jemen importiert 90 % seiner Lebensmittel. Die Terroreinstufung wird wahrscheinlich die Importe verlangsamen oder sogar stoppen. Sie drängt das Land weiter in Richtung wirtschaftlicher Zusammenbruch, Hungersnot und Tod. Mit nur noch 9 verbleibenden Tagen der Trump-Regierung und während der Sitzungspause des Senats, fällt diese nationale Sicherheitsentscheidung von großer strategischer und humanitärer Tragweite, ohne vorherige Prüfung durch den Kongress 

David Miliband, Präsident und CEO des IRC, sagt:

„Dies ist reiner diplomatischer Vandalismus. Nach vier Jahren einer gescheiterten Kriegsstrategie, die zur größten humanitären Katastrophe der Welt geführt hat, ist das Letzte, was das jemenitische Volk braucht, eine weitere Unterbrechung der Hilfs- und Wirtschaftsströme. Diese Politik, welche sich gegen die Houthis richten soll, schädigt vor allem humanitären Akteuren und diplomatischen Bemühungen. Das Gegenteil ist nötig: effektiver Druck auf alle Konfliktparteien, damit sie aufhören, Zivilist*innen als politische Spielfiguren zu benutzen. Diese Politik wird zur steigenden Verarmung der Jemenit*innen führen und die Kräfte stärken, die sie angeblich bekämpft. Die IRC-Teams vor Ort, im Norden und Süden des Landes, sind gegen alle Widrigkeiten im Einsatz, um Leben zu retten. Diese Einstufung macht ihre Aufgabe fast unmöglich. Unsere Bedenken sind nicht theoretisch oder übertrieben. Die jüngste Geschichte - insbesondere in Somalia - hat uns gezeigt, dass Terrorismus-Einstufungen inmitten komplexer Konflikte und humanitärer Krisen, unschuldige Leben kosten.“  

Hilfsorganisationen vor Ort brauchen Klarheit über die Implikationen dieser Entscheidung. Die negativen Auswirkungen auf die jemenitische Wirtschaft werden die Bedarfe eskalieren lassen. Humanitäre Ausnahmen für Hilfskorridore haben sich in der Vergangenheit immer als unzureichend erwiesen.  

IRC fordert die US-Regierung auf, diese Ausnahmeregelung sofort rückgängig zu machen. Nur so können Leben gerettet und weiteres Leid vermieden werden. Sollte dies nicht gelingen, haben der designierte Präsident Biden und sein Team deutlich gemacht, dass sie erkennen, dass der Jemen eine schwelende politische und humanitäre Krise ist, die dringende Aufmerksamkeit erfordert. Zu diesem Zweck sollte eine Umkehrung der heute angekündigten Politik und der Kriegsstrategie eine sofortige Priorität bei der Amtsübernahme sein. IRC ist seit 2012 im Jemen tätig und hat seine Programme 2015 ausgeweitet, um den durch den Konflikt verursachten größeren humanitären Bedarf zu decken. Obwohl der anhaltende Konflikt unsere Arbeit vor Herausforderungen stellt, haben wir den Zugang zu den betroffenen Menschen aufrechterhalten und bietet weiterhin lebensrettende Dienste an, darunter die Behandlung von Unterernährung, medizinische Dienste, Wasser- und Sanitärversorgung, Bargeldhilfe sowie Bildungsprogramme.