Trotz zahlloser Herausforderungen überwindet dieses Team, das ausschließlich aus Ärztinnen besteht, weite Entfernungen und unbefestigtes Gelände, um medizinische Versorgung in die entlegensten Dörfer Afghanistans zu bringen. Dort erreichen sie Frauen, die seit 50 Jahren keinen Zugang zu Gesundheitsdiensten hatten

Dr. Najia Tareq machte sich große Sorgen, als die Taliban vor einem Jahr in Kabul einmarschierten. „Der politische Übergang war für uns sehr schwierig“, sagt die Gynäkologin mit langjähriger Erfahrung im öffentlichen Gesundheitswesen. Sie fragte sich: „Was wird mit uns geschehen?“

Portrait Dr. Najia
Dr. Najia hofft, dass die nächste Generation afghanischer Frauen und Mädchen zur Schule gehen und ihre Ziele erreichen kann.
Foto: Oriane Zerah for the IRC

Dr. Najias Familie ermutigte sie schon als Kind, Ärztin zu werden. Als sie ihr Studium begann, stellte sie fest, dass Afghanistan einen großen Bedarf an weiblichen Fachärztinnen hat. 

Sie erinnert sich an bessere Zeiten für Frauen in ihrem Land während ihres Studiums an der Medizinischen Universität Kabul. „Damals herrschte ein gleichberechtigteres Umfeld“, sagt sie. „Jeder konnte in Afghanistan oder im Ausland studieren.“

Bevor Dr. Najia zu IRC kam, war sie Leiterin einer Entbindungsklinik und arbeitete jahrelang im Gesundheitsministerium. Sie reiste in abgelegene Provinzen, in denen es oft keine Straßen oder Brücken und nur wenige Krankenhäuser gibt.

Afghanische Gesundheitskräfte stehen im Kreis und beraten sich
Das mobile Gesundheitsteam bereitet sich auf den Besuch eines abgelegenen Dorfes in Khost, im Südosten Afghanistans, vor.
Foto: Oriane Zerah für IRC

Ihre Arbeit im Ministerium führte Dr. Najia die Notlage von Frauen und Mädchen im ländlichen Afghanistan vor Augen. Der Zugang zu medizinischer Versorgung, wie sie den Männern in den Dörfern zur Verfügung steht, wird ihnen oft verwehrt. Zudem ist es vielen unangenehm, männliche Ärzte aufzusuchen. Daher beschloss Dr. Najia ein mobiles Gesundheitsteam aus weiblichen Fachärztinnen zu bilden.

„Ich wollte ein System aufbauen, in dem alle Menschen den gleichen Zugang zu Gesundheitsdiensten haben“, sagt sie. „Das ist es, was mich zu IRC geführt hat. Die Organisation ist in zehn Provinzen tätig und verfügt über mobile Gesundheitsteams, die in schwer zugängliche Bezirke reisen können.“

Portrait Amna Afghanistan
Amna ist fest entschlossen, eine Stütze für Frauen zu sein, die sonst keine Unterstützung bekommen.
Foto: Oriane Zerah für IRC

Auch Amna Gul, eine 25-jährige Gesundheitsmanagerin von IRC, weiß aus erster Hand, wie schwer es ist, in Afghanistan eine Frau zu sein. Wie Dr. Najia beschloss sie schon in jungen Jahren Ärztin zu werden.

„Meine Mutter hatte als junges Mädchen und als sie schwanger war Schwierigkeiten, die richtige medizinische Versorgung zu finden“, sagt sie. „Als ich aufwuchs, ermutigte sie mich immer, Ärztin zu werden, um andere Frauen in Not zu unterstützen.“

IRCs mobile Gesundheitsteams auf unwegsamem Gelände
Mobile Gesundheitsteams sind oft auf schlammigen Wegen und in unwegsamem Gelände unterwegs. Starke Regenfälle und Sturzfluten können die Reise noch gefährlicher machen.
Foto: Oriane Zerah für IRC

Amna erinnert sich, wie sie sich letztes Jahr beim Regierungswechsel fühlte. „Ich rief meine Vorgesetzten an und fragte, ob ich zur Arbeit kommen soll“, erzählt sie. „Sie sagten, ich solle warten, bis sie mich anrufen. Es herrschte überall Stromausfall und wir hatten das Gefühl, dass wir uns nicht bewegen oder überleben konnten. Das hat uns wirklich den Enthusiasmus und den Mut genommen, heraus zu gehen und den Menschen in Not zu helfen.“
 
Heute ist Amna zuversichtlicher. Als erfahrene Leiterin dreier mobiler Gesundheitsteams war sie maßgeblich am Aufbau der medizinischen Versorgung für Frauen in Khost, einer abgelegenen Provinz im Südosten Afghanistans, beteiligt. „Ich hatte überlegt, ob es möglich ist, [dieses Team zu bilden]. Dann dachte ich: Wenn wir das wirklich wollen, dann sollte es für uns ein Leichtes sein.“

Dorf im afghanischen Bezirk Spera
Viele Dörfer in Afghanistan - wie der abgelegene Bezirk Spera, drei Autostunden vom IRC-Büro in der Provinz Khost entfernt - haben keine medizinischen Einrichtungen.
Foto: Oriane Zerah für IRC

Trotz ihrer wichtigen Arbeit müssen diese humanitären Helferinnen - wie viele Frauen in Afghanistan - fast überall, wo sie hingehen, von einem Mann begleitet werden. Dies kann sie daran hindern, ihrer Arbeit nachzugehen, wie bei dem Erdbeben, das Afghanistan am 22. Juni erschütterte und 1.000 Menschen tötete.

IRC reagierte auf das Beben mit der Entsendung mobiler Gesundheitseinheiten in die betroffenen Dörfer. Amnas Team war eine dieser Einheiten. 
Trotz ihrer wichtigen Arbeit müssen diese humanitären Helferinnen - wie viele Frauen in Afghanistan - fast überall, wo sie hingehen, von einem Mann begleitet werden. Dies kann sie daran hindern, ihrer Arbeit nachzugehen, wie bei dem Erdbeben, das Afghanistan am 22. Juni erschütterte und 1.000 Menschen tötete.

IRC reagierte auf das Beben mit der Entsendung mobiler Gesundheitseinheiten in die betroffenen Dörfer. Amnas Team war eine dieser Einheiten. 

Eine Ärztin misst Blutdruck.
Ein mobiles Gesundheitsteam, das ausschließlich aus Frauen besteht, ist für Afghaninnen in den Dörfern, die einzige Möglichkeit medizinisch betreut zu werden. v
Foto: Oriane Zerah für IRC

„Es war ein dunkler, regnerischer Tag, und die Straße war holprig“, erinnert sich Amna. „Gegen 18 Uhr verloren wir die Verbindung zu dem Team, das ins Erdbebengebiet gefahren war.” 

Amna bangte die ganze Nacht. Die Erleichterung war groß als das Team ihr Büro am Morgen kontaktierte und ihr versicherte, dass sie in Sicherheit waren. Trotz der gefährlichen Reise hatten sie es geschafft, 116 Patient*innen in der Nacht zu behandeln.

Ärztin untersucht Kleinkind mittels Bändchen auf Unterernährung
Eine der Aufgaben des mobilen Gesundheitsteams besteht darin, Kleinkinder auf Unterernährung zu untersuchen und zu behandeln - ein Problem, das mit der Verschärfung der Wirtschaftskrise zunimmt.
Foto: Oriane Zerah für IRC

Als leidenschaftliche humanitäre Helferinnen bewältigen Dr. Najia und Amna alle Risiken, denen sie bei ihrer Arbeit ausgesetzt sind. Sie wollen den afghanischen Frauen helfen, die oft niemanden haben, an den sie sich wenden können.
 
„Ich möchte den Frauen in Afghanistan die gleichen Rechte zugestehen, die auch anderen Frauen auf der ganzen Welt gewährt werden - das Recht zu studieren, was sie wollen und vor allem das Recht auf Selbstbestimmung“, sagt Amna mit der für sie typischen Entschlossenheit.
 
Dr. Najia schließt sich ihren Gedanken an. Egal, welche Hindernisse ihr in den Weg gelegt werden, sie lässt sich nicht beirren. „Ich möchte meinem Volk zeigen, vor allem den Männern, dass wir die gleichen Fähigkeiten, Kenntnisse und Fertigkeiten haben wie sie“, sagt sie. „Auch Frauen können zur Entwicklung Afghanistans beitragen.“

Afghanische Ärztin untersucht Kind auf Unterernährung
Dr. Najia liebt es, ihr Team zu unterstützen. „Ich bin stolz auf meine Mitarbeiterinnen“, sagt sie.
Foto: Oriane Zerah für IRC

IRCs Einsatz in Afghanistan 

In den letzten zwölf Monaten hat IRC sein Engagement für das afghanische Volk verdoppelt. Unsere Mitarbeitenden - 99 Prozent von ihnen sind Afghan*innen - sind in zwölf Provinzen tätig. Sie bieten lebenswichtige Gesundheitsdienste, Bildung und Unterstützung für Frauen und Mädchen an Orten an, in denen enge Beziehungen zu Gemeindevorstehern aufgebaut wurden. Gleichzeitig haben sich unsere Teams unermüdlich für die Einbeziehung von Frauen in die humanitäre Hilfe eingesetzt. Das Resultat: 40 % unseres Teams vor Ort sind weiblich.

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