Unsere Kollegin Nancy Dent berichtet

Letzte Woche reiste ich zur griechischen Insel Lesbos. Zuvor war bekannt geworden, dass täglich Hunderte neue Flüchtlinge auf die Insel kommen. Asylsuchende und Mitarbeiter*innen von Hilfsorganisationen wurden von gewaltbereiten Gruppen mit rechtsextremem Hintergrund angegriffen. Ein Gemeindezentrum, einer der wenigen Orte, in denen Flüchtlinge auf Lesbos Trost finden, wurde dabei niedergebrannt.  

 Ich war zuvor schon auf Lesbos, aber die Spannungen waren noch nie so groß wie heute. Die Straßen sind leer. Graffitis an den Wänden erzählen von der Brutalität der Polizei - eine Erinnerung an die jüngsten Proteste.  

Im Hafen – nicht zu übersehen - ein großes graues Schiff der griechischen Marine. Darin werden derzeit bis zu 450 Asylsuchende festgehalten – ohne Zugang zu Grundbedürfnissen zu haben. Nachdem die Menschen zuerst draußen oder in Bussen geschlafen haben, sind sie nun im Inneren dieses Schiffes zusammengepfercht, ohne Fenster und mit nur wenig frischer Luft.  

Kinder laufen am Hafen vor Kriegsschiff in Lesbos
450 Menschen werden derzeit auf diesem Marineschiff festgehalten, Berichten zufolge plant die Regierung, sie in ihr Heimatland zurückzuschicken.
Foto: Milos Bicanski/IRC

Niemand weiß genau, was mit den Menschen an Bord passieren soll. Berichten zufolge, sollen sie aber, ohne dass sie einen Asylantrag stellen konnten, abgeschoben werden. Wenn das stimmt, wäre das ein Verstoß sowohl gegen internationales als auch gegen EU-Recht.  

Es ist eine neue Strategie der griechischen Regierung, die Anfang März, kurz nach der Grenzöffnung durch die Türkei, die Annahme und Bearbeitung neuer Asylanträge ausgesetzt hat. 

Wie ist es so weit gekommen?  

In den letzten fünf Jahren sind fast eine Million Menschen auf der Suche nach mehr Sicherheit durch Lesbos gekommen. Heute leben noch bis zu 20.000 Flüchtlinge unter erbärmlichsten Bedingungen in einem überfüllten Aufnahmezentrum nahe des Dorfes Moria. Der Ort ist vermüllt, schmutzig, gefährlich. Stacheldraht lässt die Menschen glauben, sie seien im Gefängnis. In diesem Lager leben fast sieben Mal so viel Menschen wie vorgesehen.

Mädchen läuft mit Eimer durch Flüchtlingslager in Griechenland
Ein Mädchen läuft durch Moria. Die starke Überbevölkerung hat zu gefährlichen Zuständen geführt.
Foto: Milos Bicanski/IRC

Aufgrund seiner geographischen Lage trägt Griechenland die Hauptlast beim Schutz von Flüchtlingen. Seit längerem versucht die Regierung die Situation unter Kontrolle zu bekommen. Ohne Erfolg: Die jüngsten Übergriffe sind das Ergebnis jahrelanger Spannungen.   

Rechtsextreme Gewalt verbreitet Panik.  

Die meisten Mitarbeiter*innen des International Rescue Committees auf Lesbos stammen selbst von der Insel. Sie sind Einheimische, die seit 2015 Flüchtlinge unterstützen. Nun aber haben sie Angst: Sie reden in der Öffentlichkeit nicht über ihre Arbeit, gehen nach Dienstschluss direkt nach Hause und da bleiben sie dann auch. Eine Kollegin erzählte mir, dass eine Gruppe Männer an der einzigen Zugangsstraße zu ihrem Dorf wartete: „Ich habe mein ganzes Leben lang hier gelebt und plötzlich treffe ich auf dem Weg zur Arbeit, vermummte und mit Stöcken bewaffnete Männer, die meinen Ausweis sehen wollen. Sie wollten überprüfen, ob ich Griechin bin!“ 

Kiki Michailidou, Leiterin für Programme zur psychologischen Betreuung bei International Rescue Committee auf den griechischen Inseln, beschrieb eine ähnliche Situation: Sie kam von der Arbeit -Demonstrierende warfen Steine auf Autos, von denen sie vermuteten, dass sie zum Personal von Hilfsorganisationen gehörten. Sie verbrannten Reifen, errichteten Straßensperren. „Ich habe mein Leben lang auf dieser Insel gelebt und mich noch nie so unsicher gefühlt. Es ist nicht mehr die gastfreundliche Insel, die sie einst war“, sagte mir Kiki. 

Ein jugendlicher Geflüchteter trägt Vorräte zu seiner Unterkunft, vorbei an den überquellenden Müllbergen im Lager Moria.
Ein jugendlicher Geflüchteter trägt Vorräte zu seiner Unterkunft, vorbei an den überquellenden Müllbergen im Lager Moria.
Foto: Milos Bicanski/IRC

Auch Asylsuchende fürchten sich, trauen sich nicht vor ihr Zelt und lassen ihre Kinder nicht mehr in den Gassen spielen.

Europa muss mehr tun  

Dabei wäre Europa in der Lage, Flüchtlinge, die unter diesen katastrophalen Bedingungen auf den Inseln leben müssen, umzusiedeln. Die Bereitschaft von sieben europäischen Ländern, darunter auch Deutschland, bis zu 1.600 unbegleitete minderjährige Kinder aufzunehmen, macht Mut. Es gibt jedoch noch viel mehr Menschen, die ebenfalls dringend Hilfe benötigen. 

Viele der Menschen auf Lesbos sind vor dem Krieg in Syrien, der Verfolgung im Irak und dem Konflikt in Afghanistan geflohen und haben in ihrer Heimat und auf ihrer Reise traumatische Erfahrungen gemacht. Jeder hat seine eigene Leidensgeschichte. Jetzt haben sie endlich Europa erreicht, wo sie auf einem Kriegsschiff eingesperrt werden und nicht erfahren, wie es mit ihnen weitergeht. Ist das wirklich das Einzige, was wir den Menschen anbieten können? Ist dies wirklich das Europa, das wir unterstützen?  

 

Mehr Informationen 

International Rescue Committee hilft auf Lesbos und bietet dort psychische Unterstützung, erfahren Sie mehr über unsere Arbeit in Griechenland .