Seit dem 24. Februar wurden nun schon mehr als 5 Millionen Menschen gezwungen, mit dem Nötigsten aus der Ukraine zu fliehen. 6,5 Millionen Binnenvertriebene versuchen verzweifelt, sich in Sicherheit zu bringen, ohne zu wissen, wie es für sie weitergeht.

Sie sitzen in Mariupol, Tschernihiw, Charkiw, Mykolajiw und Sumy, sowie anderen angegriffenen ukrainischen Städten fest und warten darauf, dass die vereinbarten „humanitären Korridore“ sicher genug sind, um zu fliehen. Zudem haben mehr als 2 Millionen Geflüchtete Zuflucht im benachbarten Polen gefunden. Sechs dieser Menschen berichten über ihre Fluchterfahrungen, ihre Reise in die Sicherheit und ihre Hoffnungen für die Zukunft.

Victoria  

Victoria aus der Ukraine steht auf einem Feld und schaut in die Kamera
Victoria ist gemeinsam mit ihrem Kind und zwei Freund*innen aus der Ukraine geflohen. Sie ließ den Rest ihrer Familie zurück und wartete mit Hunderttausenden anderen Geflüchteten 12 Stunden lang an der Grenze, bevor sie nach Polen einreisen konnte.
Foto: Francesco Pistilli/IRC

Wie fühlt man sich, wenn man aus seinem Land vertrieben wird und seine Angehörigen zurücklassen muss? Ist man erschöpft, wenn man von Sirenen geweckt wird und seine Kinder nachts in den Notunterkünften unterbringen muss? 

„Um die Sicherheit meines Kindes zu gewährleisten, habe ich die schwere Entscheidung getroffen, die Ukraine zu verlassen. Dadurch musste ich jeden zurücklassen – meinen Mann, meine Geschwister, meine Eltern, meine gesamte Familie. 

Als wir in Polen ankamen, kontaktiere ich einen Freund, der mir anbot, dass wir bis Kriegsende bei ihm unterkommen könnten. Jetzt, wo ich hier bin, nutze ich meine Stimme, um mich für die Menschen in meiner Heimat einzusetzen. Die Ukraine ist ein friedliches Land mit friedlichen Menschen, die nie einen Krieg wollten. Die Menschen waren glücklich, in der Ukraine zu leben. Wir wollen einfach nur leben.“ 

Iryna 

Iryna hält ihr Kind im Arm während beide in die Kamera schauen und Winterbekleideung tragen
Iryna war noch im Mutterschutz als der Krieg begann und ihre komplette Welt auf den Kopf stellte. Sie flüchtete mit ihrer 1-jährigen Tochter Varvara, ihrer Schwester und den beiden Kindern ihrer Schwester nach Polen. Sie empfindet Glück und Schuldgefühle zu gleich, da sie sich nun in Sicherheit befindet, aber auch weit weg von den Menschen ist, die sie liebt. 
Foto: Francesco Pistilli/IRC

„Es ist schwer zu beschreiben, wie beunruhigend es ist, die ganze Zeit Sirenen zu hören. Wir mussten mehrmals am Tag Keller und Schutzräume aufsuchen. Wir sind froh, dass wir das hinter uns lassen konnten, aber alle unsere Verwandten sind noch in der Ukraine und es ist sehr schwer, von ihnen getrennt zu sein. 

Für die Reise haben wir nur das Nötigste mitgenommen, wie Kinderkleidung und Hygieneartikel. Ich habe das Minimum an Kleidung für mich und nur eine kleine Menge an Lebensmitteln eingepackt. Das war alles, was wir tragen konnten.  

Ich möchte, dass dieser Horror aufhört, damit alle zurück nach Hause können. Jeden Tag werden Menschen, auch Kinder, getötet. So kann es nicht weitergehen. Es ist an der Zeit, dass sich alle – Politiker*innen und Staaten – zusammensetzen und versuchen, dauerhaften Frieden zu schließen. Es hat bereits so viele tragische Ereignisse und Todesopfer gegeben.  

Jetzt wo ich mit meiner Tochter und meiner Schwester in Polen bin, hoffe ich, dass mein Mann sieht, dass wir in Sicherheit sind, damit er sich keine Sorgen mehr macht. Wir sind so dankbar für all die Hilfe, die wir bereits erhalten haben und die auch so viele andere Geflüchtete in der Ukraine erhalten haben. Ich möchte der Welt für all ihre Hilfe danken.“ 

Anastasiia  

Anastasia steht auf einem Feld an der polnisch-ukrainischen Grenze und schaut in die Kamera
Wir haben mit der 24-jährigen Ukrainerin an der ukrainisch-polnischen Grenze gesprochen, nachdem sie mit ihrer Mutter und ihrem Bruder geflohen ist. 
Foto: Francesco Pistilli/IRC

„Es war eine sehr schwere Entscheidung, hierherzukommen, weil mein Vater nicht bei uns sein kann. Denn Männern ist es nicht erlaubt, das Land zu verlassen. Trotzdem haben wir uns dazu entschieden fortzugehen, denn niemand weiß, was heute oder morgen passieren wird. Der Großteil meiner Freunde und meiner Familie ist in der Ukraine geblieben. Es ist ihr Heimatland und sie wollen es nicht aufgeben, sie wollen es verteidigen. Anfangs dachten wir, dass die Situation vielleicht in einer Woche vorüber sein würde. Jetzt sind schon mehr als zehn Tage vergangen, und die Situation hat sich nicht verbessert. Aber wir geben die Hoffnung nicht auf. 

Wir sind zwar traurig, aber wir müssen damit fertig werden und stark sein. Meine Mutter ist Psychologin und kennt sich mit solchen Situationen sehr gut aus. Sie überlegt, wie sie unseren Bürger*innen hier helfen kann, vielleicht mit Sprachkursen. Es ist wirklich schwer, in ein anderes Land zu gehen, wenn man die Sprache nicht spricht.“ 

Angelina 

Angelina steht vor einigen Zelten an der polnisch-ukrainischen Grenze
Wir haben Angelina getroffen, nachdem sie einen Evakuierungszug von Dnipro nach Lviv in der Ukraine genommen hatte. Von dort aus wurde ihr und ihrer Familie geholfen, die Grenze nach Polen zu überqueren. 
Foto: Francesco Pistilli/IRC

„Mein Vater hat immer zu mir gesagt: 'Wenn man glücklich ist, merkt man es nicht'. Vor dem Krieg waren wir mit unserem Alltag zufrieden und es war uns nicht bewusst. Aber jetzt wissen wir, dass das wahre Glück in all den kleinen Dingen liegt, in den Momenten, die wir als Familie miteinander teilten. 

Wir sind in Polen herzlich aufgenommen worden; wir haben Kleidung bekommen und man kümmert sich um uns. Meine Familie und ich fühlen uns sicher und wir sind glücklich, hier zu sein, aber wir sind auch sehr besorgt. Wir machen uns große Sorgen um unser Land und sind erschüttert von all den tragischen Ereignissen. 

Ich möchte, dass unsere Kinder in einen klaren Himmel aufschauen können, dass es keinen Krieg mehr gibt und dass so etwas nie wieder passiert.“ 

Valentina

Valentina und ihr Yorkshire Terrier Lala
Valentina und ihr Yorkshire Terrier, Lala. Sie verließen die Ukrane als die Luftangriffe immer lauter wurden. Valentina, Mutter von zwei Kindern aus der belagerten Stadt Mariupol, flüchtete zunächst nach Kiew und dann nach Drohobytsch in der Westukraine. Als die Luftangriffe immer lauter wurden, zog sie mit ihrer Familie und ihrem geliebten Yorkshire Terrier Lala weiter nach Polen.
Foto: Andrew Oberstadt/IRC

„Als wir die Ukraine verließen, wussten wir nicht, ob Tiere ins Ausland mitgenommen werden dürfen. Also ließen wir unseren Hund für ein paar Tage bei anderen Leuten. 

Die Kinder vermissten den Hund. Mir bleib nichts anderes übrig, als zurückzugehen und meinen Hund mitzunehmen. Sie kann uns nicht aus den Augen verlieren. Sie begleitete uns den ganzen Weg nach Drohobytsch und Polen. 

Ich wollte die Ukraine lange Zeit nicht verlassen. Aber der letzte Fliegeralarm wurden unerträglich. Alle meine Freund*innen und Bekannten dort sind unter Beschuss geraten. 

Ich habe sehr viele Freund*innen und Verwandte, zu denen ich den Kontakt verloren habe. Heute hat sich meine Tante bei mir gemeldet. Sie schrieb, dass sie ihr jüngstes Kind verloren hat. Er war 18 Jahre alt. 

Mir fehlen einfach die Worte für all das, was geschieht. Ich möchte, dass alles ein Ende findet, damit ich nach Hause gehen kann. Damit wir einen Ort haben, an dem wir zurückkehren können.“ 

Yevhenia 

Yevhenia, die nicht fotografiert werden wollte, war Geschäftsinhaberin in Saporischschja, Ukraine. Am vierten Tag des Konflikts wurde ihr klar, dass ihre Stadt bald umzingelt sein wird. Sie traf die schwere Entscheidung, ihre Heimatstadt alleine, ohne ihre Familie, zu verlassen. 

„Es ist schwer, wenn man fortgeht, ohne zu wissen, wohin es geht, ohne zu wissen, was mit einem geschieht oder ob man seine Eltern, Großmutter oder Freund*innen jemals wiedersehen wird und man fragt sich: ‘War das das letzte Mal, dass wir uns sehen werden?’“

Du fragst dich, War das das letzte Mal, dass wir uns gesehen haben?

Die Reise nach Polen war anstrengend: Ich habe drei Tage lang nicht geschlafen und jedes Mal geweint, wenn ich an meine Familie zu Hause gedacht habe. Ich bin jetzt in Sicherheit, aber meine Verwandten können nicht evakuiert werden, weil die Reise zu kompliziert ist; der Gedanke an meine alte Großmutter, die die Ukraine nicht verlassen kann, ist schrecklich. Ich frage mich, wie das Leben nach dem Krieg aussehen wird, denn ich habe meine Arbeit geliebt und hoffe, dass ich eines Tages wieder zurückkehren kann.  

Ich bin wirklich stolz darauf, Ukrainerin zu sein. Ich bin stolz auf das ukrainische Volk, denn mein Land hat Stärke gezeigt wie nie zuvor und anderen bewiesen, wozu wir überhaupt fähig sind. Ich denke, unser Land hat das Beste verdient. Es verdient es, in Frieden zu leben. Und die Menschen, die in unserem Heimatland leben, sind bemerkenswert.“ 

Wie hilft IRC?

IRC ist vor Ort im Einsatz und arbeitet mit lokalen Partnern in Polen und der Ukraine zusammen. Gemeinsam mobilisieren wir Ressourcen und leisten lebensrettende Hilfe für die Zivilbevölkerung, die aus ihren Häusern fliehen musste.  Mehr Informationen zur Hilfe für Menschen in der Ukraine.