Lia Mocka arbeitet bei International Rescue Committee als Spezialistin für sexualisierte Gewalt. In Griechenland unterstützt sie geflüchtete Frauen, die als schutzbedürftig identifiziert worden sind.

Es gibt keine langfristige Planung. Die Lage ist erdrückend und die Behörden dem hier nicht gewachsen. Sie sollen den vielen Geflüchteten und Asylsuchenden in Griechenland Schutz bieten. Aber wenn sie nicht wissen, was diese Menschen erlebt haben, ist das sehr schwierig.

Meine Aufgabe bei International Rescue Committee besteht darin, aufzuklären. Es geht darum Frauen und Mädchen, die unter schrecklichen Bedingungen auf den Inseln leben, zu schützen. Ich erinnere mich an eine Frau, die in der 22. Woche schwanger war. Sie war mutig, litt an einer sexuell übertragbaren Krankheit. Während ihr Sohn vor dem Zimmer wartete, vertraute sie sich mir an und erzählte mir, wie sie der Schmuggler, den sie bezahlt hatte, um sie per Boot von der Türkei nach Lesbos zu bringen vergewaltigte -  eine schwangere Frau, während ihr Sohn zusah. Die Frau war am Boden zerstört und war doch so stark, dass sie mit uns reden konnte, dass sie sich uns anvertraute. Sie hatte gewiss nichts zu verlieren. Sie brauchte dringend Hilfe. Wir gaben ihr die nötigen Medikamente, klärten sie darüber auf, wie sie sich und ihr Baby versorgen muss und wo sie sich über ihre Rechte informieren kann. Später erhielt ich eine E-Mail von ihr: Sie hatte ein wunderschönes, gesundes Mädchen zur Welt gebracht.

Zu erfahren, dass Frauen, die so viel Schmerz erlitten haben, ihr Leben wieder selbst in die Hand genommen haben, ist eine große Motivation für meine Arbeit.

Wir wissen, dass Frauen, die flüchten mussten, großen Gefahren ausgesetzt sind. Doch hier werden diese Frauen oft vergessen – obwohl gerade so viel über diese Krise berichtet wird. Mitarbeiter*innen von Hilfsorganisationen wurden nach Übergriffen gezwungen, die Inseln zu verlassen. Es gibt keine nachhaltige Lösung: die Inseln sind überbevölkert, das frustriert. Jetzt haben aber auch die rund 9.000 Frauen, von denen sich viele in Aufnahmezentren wie Moria befinden, niemanden mehr, an den sie sich wenden können.

Eine geflüchtete Familie sitzt in ihrer Unterkunft im Lager Moria in Griechenland
Eine der zahlreichen geflüchteten Familien, die im Lager Moria auf Lesbos untergekommen sind.
Foto: Milos Bicanski/IRC

Das Wichtigste, was eine Frau tun kann, ist, sich über ihre Rechte zu informieren. Aber viele geflüchtete Frauen auf Lesbos wissen nicht einmal, dass sie welche haben. Sie sind nicht in der Lage, über die Gewalt, die sie erlitten haben, zu sprechen. Die Hilfe, die  angebotene wird, reicht nicht aus. Zuständige Behörden reagieren oft nur sehr langsam. Wenn ich daran denke, wie lange wir brauchen, um ein Vergewaltigungsopfer zu identifizieren, platzt mir der Kragen.

Wir brauchen mehr Mittel, um sicherzustellen, dass unsere Arbeit zur Sensibilisierung von Polizeibeamten und Helfern fortgesetzt werden kann. Wir müssen gefährdete Frauen finden, um ihnen helfen zu können.

Ich bin in Albanien geboren und, wie viele der Flüchtlingsfrauen, in einer Gesellschaft aufgewachsen wo Frauen den Männern gehorchen müssen, ohne zu verstehen, warum. Dann kam ich nach Griechenland und lernte, dass es auch anders geht. Geflüchtete Frauen, die Opfer von sexualisierter Gewalt geworden sind, können Kinder haben und großziehen, studieren und Führungspositionen übernehmen - es liegt an uns, ihnen die Möglichkeit zu geben, zu heilen.