Valentina, die von Banden in El Salvador bedroht wurde, konnte der Gewalt nur durch eine Flucht in die USA entkommen. Sie erzählt ihre Geschichte, damit andere gefährdete Menschen eine Chance auf Sicherheit und Freiheit bekommen.

„Das schwierigste am Leben in El Salvador ist es, zu überleben“, sagt die 23-jährige Valentina. Sie musste vor einigen Jahren ihr Zuhause verlassen, nachdem sie von gefährlichen Banden bedroht wurde.

„Als ich von der Schule nach Hause ging, sah ich die Kinder um mich herum rennen. Sie liefen wirklich schnell und schrien. Ich drehte mich um und sah, wie ein Bandenmitglied sie verfolgte“, erinnert sich Valentina, die von International Rescue Committee in Dallas, Texas, bei ihrer Umsiedlung unterstützt wurde. „Sein Gesicht war beängstigend. Wir wussten nicht, was er wollte, aber ich rannte, ohne mich noch einmal umzudrehen. In diesem Moment wollte ich wie der Superheld Flash werden. Dieses Rennen war ein Lauf um unser Leben.“

Valentina war damals 10 Jahre alt. Dies war eine der vielen Erfahrungen, die sie in einem Land gemacht hat, das mit Bandenkämpfen und einer der höchsten Mordraten der Welt zu kämpfen hat.

Vier Menschen stehen auf einem Weg und legen die Arme umeinander.
Die 23-jährige Valentina war gezwungen, ihr Haus in El Salvador zu verlassen, nachdem sie von gefährlichen Banden bedroht wurde. Ihre Familie und sie wurden von International Rescue Committee in Dallas umgesiedelt, wo sie ihr Leben wiederaufgebaut haben.
Foto: Andrew Oberstadt/IRC

Valentina zog in dem Jahr in die USA, in dem sie ihren Bachelor-Abschluss in Psychologie machen wollte. Sie kam in das mittelamerikanische Minderjährigenprogramm, das es Kindern ermöglicht, sich legal mit ihren Familien in den USA zu vereinen. Valentinas Vater Maximiliano bekam vor einigen Jahren vorübergehenden Schutz zugesprochen, aber sein Schicksal bleibt ungewiss.

Die Trump-Regierung kündigte an, dass sie den vorübergehenden Schutzstatus für Menschen aus El Salvador beenden wird. Dies ist eine Entscheidung, die derzeit vor Gericht angefochten wird. Für Valentina bedeutet dies, dass ihr Vater, der seit über einem Jahrzehnt in den USA lebt, eventuell nach El Salvador zurückgeführt werden wird.

Darüber hinaus könnte ein neues Abkommen zwischen den USA und El Salvador es den USA ermöglichen, Asylbewerber*innen an der Südgrenze abzulehnen und sie nach El Salvador zu schicken, einem Land mit sehr großem Gewaltaufkommen.

Von der Notlage Tausender Mittelamerikaner*innen gelenkt, erzählt Valentina ihre eindrucksvolle Geschichte über die schreckliche Realität der Bandengewalt, ihre lange Reise in die USA und wie sie und ihre Familie sich an das amerikanische Leben anpassen.

„Ich erzähle meine Geschichte, weil es nicht die Schwierigkeiten sind, die uns ausmachen, sondern unsere Menschlichkeit. Wenn man den Menschen, die sie am meisten brauchen, mit Menschlichkeit gegenüber steht, gewinnen alle und wir alle arbeiten auf eine bessere und produktive Zukunft hin.“

 

Abschied von zu Hause nehmen

In El Salvador weiß man nicht, ob man es am Ende des Tages lebendig nach Hause schafft. Ich nahm drei Busse, um zum College zu kommen und aus jedem rief ich meine Mutter an, der ich erzählte, wo genau ich war, bis ich in der Schule ankam. Auf jedem Heimweg tat ich das selbe.

Bandenmitglieder zielen es nicht nur auf rivalisierende Banden ab, sondern auch auf alle anderen. Sie steigen in Busse und verlangen dein Geld. Wenn man ihnen nichts gibt, feuern sie Warnschüsse ab. Manchmal schlagen sie dich zusammen, wenn du kein Geld dabei hast oder, schlimmer noch, sie erstechen dich und du wirst zur Nachrichtenstory des nächsten Tages.

Es war schrecklich, als meine Familie und ich aus unserem Haus fliehen und in einen anderen Stadtteil in El Salvador ziehen mussten. Ich erinnere mich, dass es ein Freitag war. Ich war in meinem ersten Jahr auf der High School. Meine Schwester und ich machten unsere Hausaufgaben, als meine Mutter sichtlich verängstigt und bestürzt nach Hause kam.

„Wir müssen hier raus!“, sagte sie. Meine Schwester und ich waren verwirrt und fragten, was passiert sei.

Sie sagte nur: „Wir müssen gehen und zwar jetzt.“ Also nahmen wir uns jeder einen Koffer und fingen an zu packen.

Später fanden wir heraus, dass [Bandenmitglieder] meine Mutter für eine große Summe Geld erpresst haben. Sie fanden heraus, dass mein Vater in den USA lebte. Meine Mutter hatte Glück im Unglück, denn solch einen Geldbetrag zu verlangen, bedeutete normalerweise, dass meine Mutter wahrscheinlich zuerst entführt worden wäre und die Gang anschließend nach Lösegeld zur Freilassung verlangt hätte. Die Erpresser zu bezahlen, war keine Option. Wenn du ihnen gibst, was sie wollen, werden sie wieder kommen und nach mehr verlangen. Und wenn du dann zur Polizei gehst, ist das ist dein Todesurteil.

Wir packten nur das Notwendigste ein. Ich hatte ein paar Blusen in meinem Koffer, Schuhe und persönliche Schmuckstücke wie mein kleines Engelsornament. Alles andere mussten wir zurücklassen. Freunde meiner Eltern kamen, um uns abzuholen und uns bei unseren Verwandten unterzubringen. Sie parkten ein paar Blocks vom Haus entfernt, um sicher zu sein, dass nichts passieren würde.

 

Ein Leben in ständiger Angst

Obwohl wir in der Lage waren, uns ein neues Leben aufzubauen, lebten wir in ständiger Angst. Wir fürchteten uns davor, dass die Banden uns finden würden. Sie verfügen über ein großes Informationsnetzwerk und haben viele Verbündete. Wir hatten Angst, dass unsere Gastfamilie wegen uns in Gefahr gerät. Gangs sind hinter denen her, die versuchen, Betroffenen zu helfen. Wir hatten Angst davor in einem endlosen Zyklus der Flucht gefangen zu sein und uns nie wieder sicher fühlen zu können.

El Salvador ist wie ein Kriegsgebiet, ein ganz anderes, aber dennoch ein Kriegsgebiet. Es ist ein physisches Risiko mit psychologischer Kriegsführung, weil man keine Ruhe und keinen Seelenfrieden findet. Jeden Tag und zu jeder Zeit lebst du in Gefahr und alle, die dir wichtig sind, sind ebenso gefährdet. Es gibt keine Sicherheit, dass man den morgigen Tag erleben wird.

Ich schreibe ständig SMS und bin in Video-Chats mit meinen Freund*innen, denn ich mache mir immer Sorgen um sie. Mir wurde gesagt, dass Kinder ihre Häuser nicht verlassen dürfen. Auch Schulen sind kein sicherer Ort mehr: Einmal wurde ein Kind aus der Schule in der Nähe des Spielplatzes entführt. Ein anderes Mal hörte ich, dass ein Teenager aus der Nachbarschaft, eines Nachts nicht mehr nach Hause kam. Bis heute weiß niemand, ob er noch lebt oder nicht. Als seine Mutter eine Vermisstenanzeige bei den Behörden einreichte, sagten sie einfach: „Schau nach, ob er im Fluss liegt.“ Dieser Fluss wird von den Gangs benutzt, um Leichen zu entsorgen.

 

International Rescue Committee: „Unsere Engel“

Mein Vater ging in die USA, wegen der Drohungen, die er von den Banden bekam. Er erhielt den Status des vorübergehenden Schutzes. Obwohl wir getrennt waren, ließ er uns nie im Stich. Er arbeitete hart und kaufte uns unser erstes Haus in El Salvador. Ich konnte auch zur Schule gehen. Er wandte sich an seine Anwälte, um einen Weg zu finden, den Rest seiner Familie in die USA zu holen. Sie verbanden ihn mit Mitarbeiter*innen des International Rescue Committee in Dallas, die ihm sagten, dass wir die Umsiedlung beantragen könnten.

Ehrlich gesagt hatten wir keine großen Hoffnungen. Wir wussten, dass der Prozess lang und teuer war und wir keine Garantie hatten, dass es funktionieren würde. Wir haben es trotzdem versucht und haben alle unsere Dokumente und erforderlichen Formulare eingeschickt und auf das Beste gehofft.

Wir hatten jeden Mónat Interviews mit Beamten von der Einwanderungsbehörde, die uns sagten, dass sie unsere Gespräche vertraulich behandelt würden - also erzählten wir ihnen alles. Davor haben wir mit keiner Autoritätsperson darüber gesprochen, was mit uns passiert ist. Nach einem Jahr erhielten wir die Genehmigung, als Familie in die USA umzusiedeln.

International Rescue Committee hat unser Leben zum Besseren verändert. Sie gaben uns die Möglichkeit und die Kraft dazu, in der dunkelsten Zeit unseres Lebens weiterzuleben. Sie halfen uns bei den Papieren und Gerichtsverfahren in El Salvador und koordinierten den Unterricht, damit wir vor unserer Abreise etwas über die Kultur und die Gesetze der USA erfahren konnten.

Als wir in Dallas ankamen, trafen uns Mitarbeiter*innen am Flughafen und wurden unsere ersten Freunde. Sie arrangierten alles, um uns zu helfen, unser Leben neu zu beginnen: Von Englischkursen über Sozialversicherungskarten, Arzttermine, Lebensmitteleinkäufe bis hin zur Beratung. Sie gaben uns die Werkzeuge an die Hand, um selbstständig und unabhängig zu werden. RESCUE war das Beste, was uns passieren konnte.

Ich erzähle meine Geschichte, weil es nicht die Schwierigkeiten sind, die uns ausmachen, sondern unsere Menschlichkeit. Wenn man den Menschen, die sie am meisten brauchen, mit Menschlichkeit gegenüber steht, gewinnen alle und wir alle arbeiten auf eine bessere und produktive Zukunft hin.

 

Wir haben immernoch Hoffnung

Seit ich hier in Dallas bin, haben wir etwas Rassismus erlebt, weil wir nicht fließend Englisch sprechen. Einige Leute mögen uns einfach nicht, nur weil wir anders sind. Sie sehen uns mit Abscheu an, aber wir ignorieren das. Dieses Land ist voller Möglichkeiten und wir haben Träume, die wir realisieren wollen.

Ich möchte das tun, was International Rescue Commitee für mich getan hat; Menschen in Not helfen. Ich möchte den Menschen, die beängstigende und schwierige Erfahrungen gemacht haben, zeigen, dass es am Ende des Tunnels ein Licht gibt. Ich kann nicht hier bleiben und nichts tun. Ich nehme Englischunterricht und lerne für meinen General Educational Development Test (GED). Wenn ich diesen bestehe, kann ich an einem US-College studieren. Dort möchte ich meinen Psychologieabschluss machen und mit Kindern arbeiten.

Valentina hält einen Stift in der Hand und sitzt vor zwei Büchen, mit denen sie lernt.
Valentina konzentriert sich auf ihren Englischunterricht und lernt für ihren GED. Sie träumt davon, wieder aufs College zu gehen, um ihr Psychologiestudium abzuschließen und mit Kindern zu arbeiten. „Ich kann nicht hier bleiben und nichts tun.
Foto: Andrew Oberstadt/IRC

Ich teile meine Geschichte, weil es weh tut, zu sehen, was an der US-amerikanischen Grenze  passiert. Auch ich habe mein Land aus Angst verlassen und wollte nur eine zweite Chance im Leben haben. Menschen, die vor schrecklichen Gefahren fliehen und nach einem besseren Leben streben, verdienen die Möglichkeit, sich wie du und ich weiterzuentwickeln. Wo ist die Menschlichkeit? Das sind echte Geschichten darüber, was in Mittelamerika passiert, und es sind die Kinder, die am meisten darunter leiden.

Es gibt ein Zitat von [Babe Ruth] aus einem meiner Lieblingsfilme, A Cinderella Story, das zu meiner Geschichte passt und das ich Menschen auf der ganzen Welt, die versuchen, ihr Leben wieder aufzubauen, mitgeben möchte: „Lass dich nie von der Angst vor dem Scheitern davon abhalten, weiterzumachen. Hör nicht auf zu träumen, hör nicht auf zu kämpfen. Wir haben unser Schicksal selbst in der Hand.“

*Die Namen wurden zu Schutz der Personen von der Redaktion geändert

 

Die Arbeit von IRC

Familien, die der Gewalt und Verfolgung von Banden in Guatemala, Honduras und El Salvador entkommen sind, haben eine gefährliche Reise unternommen, um in den Vereinigten Staaten Asyl zu suchen. In El Salvador leistet International Rescue Committee Soforthilfe, um den am stärksten gefährdeten Menschen bei der Suche nach einer Unterkunft und Sicherheit zu unterstützen. Wir leisten Bargeldhilfe, um Menschen beim Wiederaufbau ihres Lebens zu helfen. Darüber hinaus haben wir CuéntaNos eingeführt, einen interaktiven Service, der vertrauenswürdige und aktuelle Informationen für Menschen in Krisenzeiten bereitstellt. In den USA hilft RESCUE dabei, die Grundbedürfnisse von Asylsuchenden zu decken, Familienzusammenführungen zu erleichtern, Menschen mit kritischen Rechtslagen zu verbinden und ihnen den Zugang zu psychosozialer Unterstützung zu erleichtern. Wir unterstützen auch Flüchtlinge in Dallas und 20 anderen Städten der USA. Erfahren Sie mehr darüber, wie Sie helfen können.

 

Zwei Frauen lächeln, eine von ihnen legt ihren Arm um die andere.
Foto: Andrew Oberstadt/IRC