„Wir hatten kein Geld, nicht einmal Wasser“, sagt Bodor Ali Muhammad Abdullah al-Jabri. Sie erinnert sich an den Tag im November 2018, als sie und ihr Mann Salem mit den beiden Töchternaus ihrer Heimat flohen. Die Familie lebte in der Nähe von Hodeidah, der Hafenstadt am Roten Meer im Westen Jemens. „Bombenwurden abgeworfen, Schüsse zielten nah an uns vorbei. Wir rannten.“

Die Situation für Familien wie die von Bodor und Salem ist prekär. Der fünfjährige Konflikt im Jemen hat die Wirtschaft des Landes zerstört. 80 Prozent der Bevölkerung sind auf humanitäre Hilfe angewiesen, die immer unzureichend finanziert wird. COVID-19 hat die Nahrungsmittelpreise in die Höhe getrieben. Das jemenitische Gesundheitssystem ist praktisch zusammengebrochen.

Bodor sitzt mit ihrer neugeborene Tochter Enqath und ihre Familie im Familienzelt.
Bodor, 28, sitzt mit ihrer neugeborenen Tochter Enqath im Arm, ihrem Mann und den zwei älteren Kindern im Zelt der Familie.
Foto: Ameen Al-Ghabri/IRC

„Wir liefen etwa zwei Stunden“, erinnert sich Bodor, „und dann stiegen wir in ein Auto ein“. Hilfsbereite Fremde brachten die Familie in die Berge zu einem Vertriebenenlager in Damt. Der ehemalige Urlaubsort war für seine heißen Quellen bekannt.

Die Kämpfe folgten der Familie. Zwei Monate nach ihrer Ankunft in Damt machten sich Bodor und Salem erneut auf die Suche nach einem sicheren Zufluchtsort. In Quaatabah, in Südjemen, schlossen sie sich einer Gruppe vertriebener Familien an, die am Rande der Stadt zelten. „Wir kannten hier niemanden“, sagt Bodor. Sie trauert, um Alles, was sie in Hodeidah zurücklassen musste. „Vor dem Krieg hatten wir ein gutes Leben. Mein Mann verdiente genug Geld, um uns mit dem Nötigsten zuversorgen.“

Der 33-jährige Salem ist eigentlich Schneider. 7 Uhr morgens verlässt er das Lager, um auf nahe gelegenen Bauernhöfen nach Arbeit zu suchen. Bodor bleibt bei den Kindern und kümmert sich um den Haushalt. Sie wäscht die Kleidung der Familie in alten Autoreifen, die zu Kübeln umgebaut wurden. Das Wasser holt sie aus einem kommunalen Tank. Die Bedrohung durch COVID-19 ist in der überfüllten Notunterkunft allgegenwärtig. Daher haben Bodor und Salem der fünfjährigen Enad und der zweijährigen Haroof beigebracht, ihre Hände gründlich mit Seife zu waschen und Abstandregeln zu befolgen.

 

Bodor steht mit ihrer Familie im Vertriebenenlager in der Region Al Dhale'e
Bodor lebt jetzt mit ihrer Familie in einem Vertriebenenlager in der Region Al Dhale'e, nachdem sie vor der Gewalt in ihrer Heimat fliehen mussten.
Foto: Ameen Al-Ghabri/IRC

 

Trotz aller Widrigkeiten blieben Bodor und Salem optimistisch. „Es macht mich glücklich, meine Kinder gesund aufwachsen zu sehen“, erklärt Salem. „Es erfüllt mich, ihnen alles zu geben, was sie im Leben brauchen.“ Dann wurde Bodor schwanger. Wie viele Frauen im Jemen konnte sich Bodor die Behandlung in einem Krankenhaus nicht leisten - nicht einmal die Fahrt zu einem der wenigen funktionierenden Gesundheitseinrichtungen. Sie wusste, dass die Geburt riskant sein würde.

„Ich leide unter Anämie und hatte Angst, dass mein Körper den Blutverlust nicht kompensieren kann“, sagt sie. Zum Glück gab es eine Lösung. In Jemen bietet International Rescue Committee seit 2012 Millionen von Menschen lebensrettende Nothilfe, medizinische Versorgung, sauberes Wasser, Bildung und Schutzprogramme für Frauen an. Wir stellen auch mobile Gesundheitsteams bereit, die Menschen in Vertriebenenlagern und abgelegenen Gebieten versorgen, einschließlich mit Geburtshilfe.

 

Baby Enqath liegt im Schoß ihrer Mutter Bodor.
Baby Engath wurde in die schlimmste humanitäre Krise der Welt hineingeboren. Heute sind vier von fünf jemenitischen Kindern, rund 12,3 Millionen Kinder, auf Hilfslieferungen angewiesen.
Foto: Ameen Al-Ghabri/IRC

 

„Bodor konnte es sich nicht leisten, ins Krankenhaus zu gehen, also kamen wir zu ihr“, sagt Samya Rasam Khaled, eine IRC-Hebamme. „Während der Wehen war Bodor erschöpft, also halfen wir ihr.“

Bodor erinnert sich an ihre Angst, als die Wehen einsetzten. Sie betete, dass alles gut verlaufen würde. „Das IRC-Team kam hierher und half mir“, sagt sie. „Sie gaben mir Spritzen und intravenöse Infusionen, die mir bei der Geburt halfen. Ich habe in diesem Zelt entbunden“, sagt sie. Bodor verlor Blut, wie sie befürchtet hatte, aber durch die richtige Versorgung kam sie wieder zu Kräften. Sie hat sich vollständig erholt und auch ihre neugeborene Tochter ist rundum gesund.

Bodor sagt: „Wir nannten das Baby Enqath“, was auf Arabisch „Rescue“ bedeutet, „nach dem Namen der Organisation, die uns unterstützt hat“. Unser mobiles Gesundheitsteam besucht die Familie weiterhin, beobachtet den Zustand der Mutter und ihrer Neugeborenen und untersucht die älteren Töchter auf Anzeichen von Unterernährung.

Ein Neugeborenes (Enquath) wird von seiner Mutter gehalten.
Bodor nannte ihre Tochter Enqath, was auf Arabisch ‘rescue’ bedeutet, um der IRC-Hebamme Samya zu danken.
Foto: Ameen Al-Ghabri/IRC

 

Das Leben von Bodor und Salem verbessert sich nach und nach. „Wir haben viel gelitten“, sagt Bodor, „und jetzt geht uns zum Glück besser“. Dennoch machen sie sich Sorgen über die Zukunft. In Jemen benötigen vier von fünf Kindern, rund 12,3 Millionen Kinder, dringend humanitäre Hilfe. Enqaths Chancen zur Schule zu gehen, sind gering. 7,8 Millionen Kinder im Land haben keinen Zugang zu Bildung.

„Viele Kinder [aus vertriebenen Familien] gehen nicht zur Schule, da ihre Eltern die Mittel nicht haben“, sagt Hebamme Samya. „Mich beunruhigen auch Krankheiten wie COVID-19 und Cholera. Viele Menschen hier in diesem Lager sind an Cholera gestorben“. Samya fügt hinzu: „Wir wollen Frieden und ich wünschte, wir könnten die Ausbrüche von Krankheitenunter Kontrolle bringen. Frauen müssen die ihren zustehenden Rechte ausüben können. Sie leiden am meisten unter den Bürden des Lebens.“

Während der Krieg weitergeht, Gewalt und Luftangriffe ihren Höhepunkt erreichen, bedroht COVID-19 eine bereits gefährdete Bevölkerung. Humanitäre Hilfsprogramme sind aufgrund fehlender Mittel zusammengebrochen.

„Was wir in Jemen sehen, ist schlimmer als jede andere Tragödie, die wir zuvor erlebt haben“, sagt Tamuna Sabadze, Jemen-Landesdirektorin bei International Rescue Committee. „COVID-19 durchzieht das Land.“ IRC bildet medizinische Fachkräfte aus, setzt mobile Gesundheitsteams ein, versorgt Krankenhäuser mit Schutzausrüstung und angemessenen Wasser-und Sanitärdiensten und engagiert sich im Rahmen der COVID-19-Aufklärungsarbeit. Darüber hinaus stellen wir sicher, dass Kinder im Gesundheits-und Ernährungsbereich sowie schwangere und stillende Frauen im Bereich der reproduktiven Gesundheitsfürsorge weiterhin lebensrettende Versorgung erhalten.

Die Arbeit von IRC in Jemen wird von der Generaldirektion Katastrophenschutz und humanitäre Hilfe der Europäischen Union (ECHO) finanziert, die es Menschen ermöglicht zu überleben, sich zu erholen und ihr Leben wieder aufzubauen.