1940. Zweiter Weltkrieg. Deutsche Truppen starten die Westoffensive, greifen die Niederlande, Belgien und Luxemburg und schließlich auch Frankreich an. Im Juni marschieren sie in Paris ein. Frankreich kapituliert. Zeitgleich in Marseille quartiert sich Varian Fry, ein amerikanischer Journalist, in einem kleinen Hotel ein.  

32 Jahre ist er alt. Seine Mission: Der Aufbau einer geheimen Operation. Das Ziel: Die Rettung von europäischen Künstler*innen, Schriftsteller*innen und Intellektuellen, die vor den Deutschen nach Frankreich geflohen waren und dort nun festsaßen. Viele dieser Menschen standen auf den Listen der Nationalsozialisten. „Meistgesucht“ – so wurden sie genannt, darunter waren die Maler Marc Chagall und Max Ernst, die Philosophin Hannah Arendt und der Wissenschaftler Otto Meyerhof, der 1922 den Nobelpreis für Medizin erhalten hatte. 

Ihnen kam Varian Fry zur Hilfe. Geschickt hatte ihn dazu das Emergency Rescue Committee, die Organisation, die 1942 mit der von Albert Einstein gegründeten International Relief Association zum International Rescue Committee fusionierte. 

Mit 3.000 US-Dollar kam der Amerikaner in Marseille an. Ans Bein hatte er sich das Geld gebunden. Außerdem hatte er eine Liste dabei – eine Übersicht mit Namen von etwa 200 Künstler*innen und anderen Personen, von denen Frys Auftraggeber annahmen, dass sie in größter Gefahr schwebten. Kurz nach dem Beginn seiner Mission, erkannte der junge Journalist aber, dass noch viel mehr Menschen bedroht waren, als ursprünglich vermutet. Folglich erweiterte er seine Mission, um weitere Menschen auf der Flucht vor den Nationalsozialisten in Sicherheit zu bringen. 

Ein schwarz-weiß Bild. Ein Mann mit einer Brille sitzt an einem Schreibtisch
Varian Fry in seinem Büro in Marseille, Frühling 1941. „Ich habe mich dazu verpflichtet, zu helfen.“ 
Foto: IRC

In den nächsten 13 Monaten unterstützten Fry und sein kleines Team das sich aus Amerikaner*innen und Französ*innen zusammensetzte, mindestens 1.500 Geflüchtete bei der Grenzüberquerung von Frankreich nach Spanien und halfen weiteren rund 2.000 von der Krise betroffenen Menschen. Darunter auch Marc Chagall, der heute weltweit als Pionier der Moderne und als „der jüdische Künstler des 20. Jahrhunderts“ gefeiert wird. Er floh aus dem von den Nationalsozialisten besetzten Frankreich in die Vereinigten Staaten. Der in Russland geborene Chagall lebte in Paris als die deutschen Truppen dort 1940 einmarschierten. Trotz der Angriffe Adolf Hitlers auf Künstler*innen und Intellektuelle, dachte der Maler zunächst nicht, dass er fliehen müsse. Dann begann die Vichy-Regierung, die nach der Kapitulation Frankreichs den südlichen Teil des Landes regierte, antisemitische Gesetze zu erlassen. Als die Juden aus öffentlichen und akademischen Positionen ausgeschlossen wurden, erkannte Chagall die Gefahr, in der er und seine Familie sich befanden. Bereits in seiner Heimat Russland hatte der Maler Pogrome erlebt. Die Flucht in die Vereinigten Staaten war für ihn dennoch eine nahezu unbezahlbare Reise, da sich seine Kunstwerke im vom Krieg zerstörten Europa nur sehr schwer verkauften. Doch da kam ihm das Emergency Rescue Committee zur Hilfe, eine der beiden Gründnungsorganisationen des heutigen International Rescue Committe (IRC). 

Frys Aktivitäten blieben nicht lange geheim: Innerhalb eines Jahres wussten die Behörden des Vichy-Regimes von seinen Tätigkeiten. Weil er „Juden und Nazifeinden geholfen habe“, wurde er dann im August 1941 des Landes verwiesen. 

1942 wurde das Büro des Emergency Rescue Committee durchsucht und anschließend geschlossen. Zurück in New York versuchte Fry vergeblich, die Welt auf die Grausamkeiten aufmerksam zu machen, die später als Holocaust in die Geschichte eingingen würden. 

Es gibt Dinge, die so schrecklich sind, dass vernünftige Männer und Frauen nicht glauben können, dass sie wirklich geschehen sind. 

Ein älterer Mann steht vor einem großen Wandgemälde und lächelt.
Der Maler Marc Chagall war unter den 1.500 Geflüchteten, denen Varian Frys Team bei der Flucht half. Chagall spendete dieses Bild später dem International Rescue Committee, um die humanitäre Arbeit der Organisation zu unterstützen.
Foto: IRC

„Es gibt Dinge, die so schrecklich sind, dass vernünftige Männer und Frauen nicht glauben können, dass sie wirklich geschehen sind,“ schrieb Fry im Dezember 1942 im Politikmagzin „The New Republic“. „Ihr Ziel ist die Versklavung und die Auslöschung der Juden... [und] im Anschluss, aller nicht-deutschen Völker Europas und wenn möglich der ganzen Welt.“ 

1947 kehrte Chagall von New York zurück nach Paris. In den späten 1960er Jahren trug er zusammen mit Künstlern wie Joan Miró und André Masson zum „Flight“-Portfolio des International Rescue Committe bei. Eine Sammlung von Werken geflüchteter Künstler*innen, die von Fry zur Unterstützung der humanitären Organisation geschaffen wurde und als Wanderausstellung tourt. 

Es dauerte viele Jahre, bis Frys Heldentaten die verdiente Anerkennung erhielten. 1967 – fünf Monate vor seinem Tod – wurde er in die französische Ehrenlegion aufgenommen. Israel ehrte ihn 1996, lange nach seinem Tod: Er war der erste Amerikaner, der den Ehrentitel „Gerechter unter den Völkern“ erhielt. 

Frys Überzeugung, dass jeder Mensch Würde besitzt und wert ist, gerettet zu werden, wurde zur Grundüberzeugung des International Rescue Committee - bis heute. 

Dieser Beitrag von George Rupp, ehemaliger Präsident von International Rescue Committee, wurde erstmals am 12. Februar 2008 zu Ehren des 75-jährigen Bestehens der Organisation veröffentlicht. Erfahre mehr über die Gründungsgeschichte von IRC: https://de.rescue.org/wer-wir-sind/albert-einstein-gruendungsgeschichte